EXPERTENINTERVIEW EXPERTENTELEFON \"Plötzlich Pflegefall\" am 04.11.2010
Wer plötzlich einen Angehörigen pflegen muss, ist mit dieser Aufgabe schnell überfordert, wenn er keine Pflegeerfahrung hat. Gibt es Kurse, in denen man so etwas lernen kann, und werden diese von den Pflegekassen bezahlt?
- Dr. Andre Schumacher: Manche Pflegekassen und viele andere Anbieter im Bereich der "Erwachsenenbildung" bieten Kurse über häusliche Pflege an. In vielen Fällen werden die Kosten von den Pflegekassen übernommen.
Vor allem Frauen müssen, wenn ein Pflegefall eintritt, oft von einem Tag auf den anderen Beruf, eigene Familie und die Pflege-Aufgabe unter einen Hut bringen. Was raten Sie diesen Menschen?
- Dr. Andre Schumacher: Sie sollten den "Extra-Urlaub für pflegende Angehörige" nehmen, die Situation und die voraussichtliche weitere Entwicklung mit dem Hausarzt oder der Hausärztin besprechen und dann mittel- und langfristig planen. Optionen sind beispielsweise die Einschaltung eines ambulanten Pflegedienstes, die Kurzzeitpflege in einer stationären Pflegeeinrichtung oder die Einbeziehung weiterer "Pflegepersonen" aus Umfeld und Familie.
Es gibt immer wieder Diskussionen um die Qualität der Pflegeeinrichtungen in Deutschland bzw. um messbare Kriterien - Stichwort "Pflege-TÜV". Wie schätzen Sie die Situation ein?
- Dr. Andre Schumacher: Sicherlich ist es sinnvoll, Art und Qualität des Angebotes und der Leistungen verschiedener Einrichtungen möglichst objektiv miteinander vergleichen zu können. Dafür müssen präzise, nachvollziehbare und "gerechte" Parameter zur Verfügung stehen. Hier gibt es erste, aber meiner Ansicht nach noch nicht ganz zufrieden stellende Ansätze.
Warum wird in Deutschland so selten vom gesetzlich vorgesehenen Extra-Urlaub für die Pflege Angehöriger Gebrauch gemacht?
- Dr. Andre Schumacher: Diese Möglichkeit ist leider erst sehr wenigen Menschen bekannt.
Menschen, die Angehörige zu Hause pflegen, stoßen oft selbst psychisch und physisch an ihre Grenzen. Wo finden sie Hilfsangebote, was empfehlen Sie?
- Dr. Andre Schumacher: In vielen Städten gibt es hierfür Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und ähnliche Einrichtungen. Regelmäßig sollten sich pflegende Angehörige eine "Auszeit" oder einen Urlaub gönnen und den zu pflegenden Menschen in dieser Zeit etwa in einer stationären Kurzzeitpflege versorgen lassen.
Speziell Demenzkranke werden von den Medizinischen Diensten der Kassen oftmals in keine Pflegestufe eingruppiert und erhalten deshalb nur wenig Geld aus der Pflegekasse. Was können die Angehörigen in diesem Falle tun?
- Dr. Andre Schumacher: Hier können Leistungen nach dem "Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz" eventuell weiterhelfen. In vielen Kreisen und Städten werden zunehmend ergänzende, oftmals ehrenamtliche Helfer und Helferinnen etabliert, die entlasten und unterstützen können.
Wenn es um das Thema Pflege geht, fühlen sich die Betroffenen von den Pflegekassen oft ungerecht behandelt. Was kann man tun, um sich gegen eine vermeintlich falsche Einstufung zu wehren?
- Dr. Andre Schumacher: Man sollte in jedem Fall fristgerecht Widerspruch einlegen. Die Vorlage eines über ungefähr zwei Wochen präzise und korrekt geführten "Pflegetagebuches", in das alle erbrachten Pflege- und Betreuungsleistungen eingetragen werden, kann sehr nützlich sein.
Was kostet es, eine ausländische Pflegekraft im häuslichen Bereich rund um die Uhr zu beschäftigen? Was muss bei der Beschäftigung einer ausländischen Pflegekraft im häuslichen Bereich beachtet werden?
- Dr. Andre Schumacher: Die Einstellung ausländischer "Pflegekräfte" ist arbeitsrechtlich von Fall zu Fall nicht unproblematisch. Generell kann eine "Haushaltshilfe" aus dem Ausland allerdings zum ortsüblichen Lohn engagiert werden. Die örtlichen Arbeitsagenturen helfen hierbei weiter.
Muss ein Pflegeheim auch Menschen aufnehmen, die von der Pflegekasse keine Pflegestufe genehmigt bekommen haben?
- Dr. Andre Schumacher: Ein Mensch ohne Pflegestufe muss nicht aufgenommen werden. Eine Heimaufnahme kann aber erfolgen, wenn eine so genannte Heimnotwendigkeitsbescheinigung vorliegt. Bei der Ausstellung ist in aller Regel der Hausarzt oder die Hausärztin hilfreich.
Viele Hilfen in Sachen Pflege - zum Beispiel das Recht auf Pflegeberatung - sind den meisten Bundesbürgern nicht bekannt. Wo kann man sich umfassend informieren?
- Dr. Andre Schumacher: Erste Ansprechpartner können hier die Hausärzte sein. Sie kennen und nennen die Beratungsstellen der jeweiligen Kommune oder des Landkreises sowie die entsprechenden Einrichtungen bei Kirchen, Wohlfahrtsverbänden oder Pflegeanbietern und Pflegekassen.
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